Besuch der Steve Jobs-Schulen in den Niederlanden

Schon lange waren mir die Steve Jobs Schools (1) in den Niederlanden bekannt und ich wollte stevejobsschool_7schon immer einer dieser Schulen besuchen. Sie wurden im August 2013 mit zehn Schulen gestartet und im August 2014 um weitere zehn Schulen ergänzt. Neben der Webseite des Projekts –  http://www.educationforanewera.com/ – gibt es auch einige Videos auf YouTube, wo man einen ersten Einblick in die Besonderheiten dieser Schulen bekommen kann. Gründer dieser Schulen ist Maurice de Hond, der eigentlich nichts mit Pädagogik zu tun hat, sondern in den Niederlanden ein bekannter Wahlforscher und Internet-Guru ist.

Um die Gründung der Steve Jobs Schools zu verstehen, muss zuvor etwas über das niederländische Schulsystem gesagt werden. Dort besteht die Möglichkeit, dass privat eine Schule gegründet wird, die aber vom Staat finanziell unterstützt wird wie eine öffentliche Schule. Ein Großteil der niederländischen Schulen sind dementsprechend ‚private‘ Schulen (meist von Religionsgemeinschaften oder Stiftungen gegründet). Weiterhin besteht das nl_schulsystemBildungssystem grob gesagt aus zwei großen Einheiten: der ‚basisschool‘ für Kinder von 4 bis 12 Jahren und einem  danach differenzierten Schulangebot zur Weiterführung. Die ersten beiden Schuljahre – groep 1 und 2 – sind unserem Kindergarten vergleichbar, aber direkt in die basisschool integriert. Jede Schule kann ihre Unterrichtsmethoden frei wählen, muss aber zugleich die staatlich festgelegten Curricula und Lernziele erfüllen. Diese werden regelmäßig mit Leistungstests erfasst (dem Cito-Test), an denen alle Schülerinnen und Schüler teilnehmen müssen. Auf diesem Hintergrund hat Maurice de Hond die Steve Jobs Schools gegründet. Da die Schulen eine große Autonomie haben, können sie auch mit den ihnen zugewiesenen Finanzmittel – die Schulen bekommen pro Schüler einen festgelegten Betrag – frei gestalten. Die Steve Jobs Schools haben sich deshalb für eine iPad-Ausstattung ihrer Schülerinnen und Schüler ipad_kinderentschieden, dafür preiswerte Möbel von IKEA und keine Tafeln angeschafft.

Die Steve Jobs School zeichnet sich dadurch aus, dass zum einem alle Kinder ein persönliches iPad für den gesamten Schultag, aber auch für zu Hause bekommen. Zum anderen ist die gesamte Pädagogik vom Kind aus gedacht. D. h., die Kinder bestimmen ihre Lerngeschwindigkeit selbst und bekommen Aufgaben entsprechend ihrem Lernstand. Dies geschieht über entsprechende Anwendungen, die etwa in Mathematik den Kindern Aufgaben auf ihren iPad geben und je nach richtig oder falsche Lösungen weiterführende oder wiederholende Aufgaben anbieten. Diese Lernfortschritte können die Lehrpersonen sowie die Eltern auf ihren iPads verfolgen. So kann man etwa genau erkennen, welche Aufgaben das Kind gelöst hat, ob die Lösung richtig oder appfalsch ist und wie lange dazu gebraucht wurde. Darüber hinaus können die Ergebnisse mit anderen Kindern sowie mit dem Durchschnitt anderer Klassen – den groeps –  verglichen werden (vgl. Abbildung). In einem schnellen Überblick erfährt man, wo  das Kind in den verschiedenen verlangten Fertigkeiten steht. So bedeutet der grüne Bereich (siehe Abbildung), dass die Lösung bzw. Fähigkeiten im erwarteten Bereich liegen, orange und rot sie noch nicht erreicht sind bzw. je nach Darstellungsart über, mit oder unter dem Durchschnitt der vergleichbaren Altersgruppe sind.

stevejobsschool_8Wie schon erwähnt konnte ich zwei Schulen besuchen: eine Schule in Stadtteil ‚nieuwe Amsterdam‘ und die andere in Monnickendam, etwa 20 Minuten nördlich von Amsterdam. Die Schule befindet sich im zweiten Stock eines unbenutzten Schul- und Bürogebäudes, es gibt jedoch  einen Schulhof und eine Sporthalle. Die Schule hat ca. 80 Kinder im Altersbereich von 4 bis 12 Jahre, vier Lehrpersonen sowie einen Schulleiter. Es gibt keine traditionellen Klassenräume, sondern eher Gruppenräume, die mit Tischen, Stühlen, Couches oder Sitzsäcke ausgestattet sind. Auch Tafeln finden sich nicht in den Räumen, sondern durch LCD-Bildschirme mit AppleTV, so dass jedes iPad sich dort einloggen kann. Die Kinder können morgens zu drei Zeitpunkten kommen: entweder um 8 Uhr, 8.30 Uhr oder 9.30 Uhr. Die Schule geht bis 15 Uhr. Kinder, die schon um 8 Uhr kommen, bekommen zusätzlich einen, die um 9.30 Uhr zwei Nachmittage frei. Auch die Ferienplanung scheint variabel zu sein. So erzählte mir Maurice de Hond, dessen Tochter in diese Schule geht,  dass sie die Weihnachtsferien um zwei Wochen verlängern, also vier Wochen Ferien haben, dafür die Tochter aber in den zweiwöchigen Herbstferien in die Schule muss. Dann ist auf jeden Fall eine Lehrkraft anwesend.stevejobsschool_6

Die Lehrerinnen und Lehrer bieten über den Tag hinweg unterschiedliche Themen an, die in den Lehrplänen verpflichtend  vorgesehen sind. Dazu kommen die Kinder zu ihr an einem Tisch, meistens 4-8 Kinder. Die anderen sind entweder in einem anderen Raum, um zu einem Thema zu arbeiten, oder beschäftigen sich mit ihrem iPad; entweder zu einer Aufgabe oder zu einem Spiel. Zu den Aufgaben gehörte zum Beispiel, eine Präsentation zu einem gewählten Land zu erstellen. Die Kinder recherchieren dazu selbstständig im Internet und nutzen ihre Präsentationssoftware.

stevejobsschool_4Zwischen 12.30 und 13.30 Uhr ist Mittagspause, d.h. die Kinder sitzen an Tischen zusammen und erzählen sich während des Essens Geschichten. Insgesamt herrscht eine sehr ruhige Atmosphäre; die Kinder können Kopfhörer benutzen, wenn sie sich selbstständig mit ihren Aufgaben auf dem iPad beschäftigen. 

In der zweiten Schule in Monnickendam gibt es 84 Kinder und 4 Lehrkräfte. Die Schule arbeitet auf der Grundlage einer Stiftung, möchte aber so bald als möglich selbstständig werden, d.h. Die Eltern besitzen dann die Schule.  Hier wird weniger mit iPads als mit Naturmaterialien gearbeitet; ich hatte den Eindruck von einer ‚Öko-Schule‘. Aber auch diese Schule muss sich an den vorgegebenen Zielen der Lehrpläne  ausrichten und verfolgt dabei ein gleiches Prinzip wie in der eben erwähnten Schule. Von Patrick, der die Schule nach Außen repräsentiert, wurde mir stevejobsschool_3die Grundstruktur so erläutert: die Tageszeiten sind in etwa so aufgeteilt: 1/3 für Practice (klassische Unterrichtsfächer bzw. Kulturtechniken), 1/3 für Investigation/Projects und 1/3 für Creativity. Das ‚Schulgebäude‘ – eine ehemaliges Gebäude, in  dem Ärzte residierten – ist weihverzweigt und in jedem Raum gibt es etwas anderes zu tun: zu Lernen, zu Basteln, zu Kochen, zu Spielen oder sich einfach nur zurückzuziehen. Neben dieser Schule gibt es noch vier traditionelle Schulen. Die Konkurrenz zwischen der Steve Jobs School und diesen Schulen scheint groß zu sein, da  die Anmeldezahlen für erstere sehr groß sind. 

stevejobsschool_2Insgesamt gesehen hatte ich einen sehr anregenden Besuch in diesen beiden Schulen. Auch wenn die Schulen ‚Steve Jobs Schulen‘ heißen spielen die iPads nicht die zentrale Rolle, die Kinder sitzen also nicht den ganzen Tag vor ihrem Gerät, sondern nutzen die vielfältigen anderen, kreativen und sozialen Angeboten. Die Botschaft der Schule ist: The iPad is not the concept, it is the tool! Maurice de Hond hat es so ausgedrückt: mit dem iPad sollte man nicht Sachen machen, die man bisher gemacht hat, sondern etwas ergänzendes, wozu das iPad sehr gut passt. Pädagogik und digitale Medien müssen sich miteinander verschränken.

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(1) Der Name ist nicht offiziell von Apple genehmigt, das Unternehmen kommt aber gerne mit Besuchern, um das Arbeiten mit iPads in der Schule vorzuführen. Es gibt übrigen keine Verbindung zu oder Unterstützung von Apple.

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